Forschungsprogramm

Das Graduiertenkolleg Politik der Translation untersucht die Rolle der Translation in sozialen und politischen Zusammenhängen. Dabei steht ihre Bedingtheit durch und Wirksamkeit innerhalb derselben im Vordergrund. Translation wird dabei nicht als Produktion neutraler, vermittelnder Botschaftsträger definiert, sondern als eine in soziale, kulturelle und politische Kontexte eingebundene Aktivität, die sich im Austausch sprachlicher Formen ausprägt. Translation wird primär unter ihrem konkret-performativen Aspekt betrachtet, wodurch die Kräfte in den Vordergrund treten, welche die Translation neben den linguistischen Gegebenheiten prägen; die Beziehung zum Politischen und das Potenzial von Translation, politisch wirksam zu sein, wird dadurch besonders hervorgehoben. Zwar sind Translationen nicht per se politisch, erhalten aber durch entsprechende Rekontextualisierungen und Veränderungen des Umfelds häufig eine politische Dimension – das ist eine Tatsache, die bei der Betrachtung sozialer und politischer Zusammenhänge bisher weitgehend vernachlässigt wurde.

Diese Lücke soll durch die im Kolleg angestrebte Betrachtungsweise geschlossen werden, welche die politische und gesellschaftliche Relevanz von Translation und ihre ubiquitäre Wirksamkeit deutlich macht. Ein wichtiges Ziel des Kollegs ist es dabei, die Beschäftigung mit Translation – im Sinne von sprachlicher Translation – auch in den Fokus anderer geistes- und sozialwissenschaftlicher Disziplinen zu bringen und so den Blick für Phänomene und Konzepte zu öffnen, die bisher nicht beachtet oder gar nicht bemerkt wurden.

Voraussetzung ist die Bestimmung eines Translationsbegriffs, der es erlaubt, Akteure, Prozesse und Produkte von Translationen in komplexen sozio-politischen Zusammenhängen zu untersuchen. Denn Translation geschieht nicht zwischen zuvor bestehenden Spracheinheiten, sondern durch Translation wird Sprache als Ergebnis dynamischer Prozesse auch erst erzeugt. Das Kolleg folgt hinsichtlich einer Politik der Translation vier heuristischen Kategorien:

Der Innovationsgehalt des Kollegs

Grundlage des Kolleg-Ansatzes ist es, gesellschaftliche Vielfalt translationswissenschaftlich zu beschreiben. Dabei stellt das Thema Politik der Translation ein Alleinstellungsmerkmal dar. Zum ersten Mal widmen sich Translationswissenschaftlerinnen und Translationswissenschaftler im Verbund mit Vertretern anderer Disziplinen dem eminent politischen Phänomen des translatorischen Handelns aus genuin translatologischer Perspektive. Damit werden ganz neue Forschungslandschaften erschlossen, denn inhaltlich wurde Translation bislang nicht systematisch und anhand eines einheitlichen Translationsbegriffs unter politischen Aspekten untersucht und die Philologien dominieren die Translationswissenschaft mit den entsprechenden Diskursen. Das Graduiertenkolleg soll den Betrachtungsrahmen erweitern und Phänomene und damit auch Probleme und Fragestellungen in den Blick bringen, die bisher nicht behandelt wurden und für andere Disziplinen erschließen. Die Translationswissenschaft begibt auf diese Weise zudem in aktuelle gesellschaftliche Kontexte und formuliert für die soziale Praxis relevante Fragen und Lösungsansätze im Bereich des kulturellen Mit- bzw. Gegeneinanders der modernen globalisierten Gesellschaften. So schließt das Kolleg eine Forschungslücke und fördert zugleich den Beitrag der Geistes- und Sozialwissenschaften zum sozialen Leben. Auch der verwendete Translationsbegriff, der eine performative Sichtweise von Translation zugrunde legt und damit an soziologische Konzeptionen anschließbar ist, ist innovativ. Diese neuartige Vorgehensweise äußert sich auch in einer Reihe von innovativen und stark praxisbezogenen Kooperationen, die wissenschaftlich begleitet werden. So sind Kooperationen mit NGOs, Stiftungen und anderen Institutionen und Einrichtungen, für die Translation und auch deren politischer Aspekt explizit, aber auch implizit eine Rolle spielt, geplant. Hierbei spielen Mehrsprachigkeit, Dolmetschen in lebenspraktischen und existenziellen Situationen sowie die Auflösungen nationaler Identitäten und Grenzen sowie in historischen wie auch in aktuellen Kontexten eine wichtige Rolle.

In den Geistes- und Sozialwissenschaften ist seit dem so genannten translational turn eine stark metaphorisierte Verwendung des Translationsbegriffs zu beobachten. Das Graduiertenkolleg soll hierzu einen Gegenakzent setzen und den Begriff mit genuin translatorischem Inhalt füllen. So können auch in anderen Disziplinen methodische Annäherungen stattfinden und die Entdeckung der Translation in anderen Disziplinen befördert werden, wodurch die Translationswissenschaft zu einer Neuordnung der Humanwissenschaften beiträgt. Dabei muss allerdings auf eine generelle Kompatibilität der Konzepte geachtet werden. Die theoretisch-methodische Zusammenschau muss dabei allerdings eine Zusammenfügung und Integration ermöglichen.