Ein klassisches Beispiel für Translation als Grenzziehung ist das Nation Building. Hierbei soll die maßgebliche Rolle von Translation für Grenzziehungen aufgearbeitet werden. Wie Übersetzungen an der Herausbildung von Nationalliteraturen bzw. nationalkulturellen Modellen mitgewirkt haben, ist bisher noch nicht systematisch untersucht worden. Übersetzerische Kulturtransferprozesse sollten unter einer neuen Perspektive jedoch „historisch als originäre Katalysatoren des ‚nation-building‘“ begriffen werden (Gipper/Dizdar 2014: 8). Hierbei sollte allerdings nicht aus dem Blick verloren werden, dass Übersetzungen nicht nur Brücken bauen, sondern auch Grenzverhaue errichten können (Sakai 1997).
Ein historisches Beispiel ist die deutsche Romantik, in der übersetzerische literarische Aneignungsprozesse zur Entwicklung eines neuen nationalen Selbstbewusstseins genutzt wurden (vgl. Berman 1984). Obwohl diese Forschungslinie in jüngerer Zeit mehrfach auch für andere Kontexte fruchtbar gemacht werden konnte, ist die Bedeutung von Übersetzungen für Prozesse des nation-building doch kaum je explizit in den Mittelpunkt eines eigenen Forschungsinteresses gerückt worden.
Literatur:
BERMAN, Antoine (1995/1984): L'Epreuve de l'étranger. Culture et traduction dans l'Allemagne romantique : Herder, Goethe, Schlegel, Novalis, Humboldt, Schleiermacher, Hölderlin. Paris: Gallimard (Collection Tel; 252).
DIZDAR, Dilek / GIPPER, Andreas / SCHREIBER, Michael (Hrsg.) (2015): Nationenbildung und Übersetzung. Berlin: Frank & Timme (Ost-West-Express. Kultur und Übersetzung; Band 23).
SAKAI, Naoki (1997): Translation and subjectivity. On Japan and cultural nationalism. Minneapolis: University of Minnesota Press (Public worlds; v. 3).